Oromia Fest: Begegnung mit den Oromo
Out of Africa: Eine Begegnung mit den Oromo
„Nagaatti – Ich wünsche dir Frieden!“ Mit diesem freundlichen Oromo-Gruß beginnt meine Besichtigung und Erkundung der Ausstellung „Oromo – Ein Volk am Horn von Afrika“ in unserer Kirche.
Die Oromo sind Ostafrikaner aus dem Gebiet des heutigen Äthiopiens. Etwa 28 Millionen Menschen gehören diesem Volk an, das seit 125 Jahren im eigenen Land unterdrückt wird. Ein Beispiel dafür ist die Sprache: Afaan Oromoo war seit der Eroberung Oromiyaas bis 1991 verboten. Es durfte nur Amharisch gesprochen werden, und schon in den 70er Jahren entwickelten die Oromo als Zeichen des Widerstands ein lateinisches Schriftsystem. Das kuschitische Afaan Oromoo zeichnet sich durch besonders viele Vokale aus, was die Sprache weich und schwungvoll klingen lässt.
Zunächst machen mich aber die zahlreichen Gebrauchsgegenstände der Oromo staunend sprachlos. Viele der Exponate sind wunderschön mit Perlen und Muscheln verziert – ein Symbol für Wohlstand und Fruchtbarkeit. Zu sehen sind unter anderem Hornbecher, Holz-Tabletts, Schalen, Luft- und Fliegenwedel, Halsstützen aus Holz, Schmuckkännchen, Tonkrüge, Transportgefäße, Taschen, ein Baby-Tragetuch, ein Mörser und Instrumente wie eine Rassel aus der Schote des Affenbrotbaums, eine Hirtenflöte, ein Blashorn und eine rituelle Trommel.
Oromiyaa ist ein Agrarland. Hauptexportgüter sind Kaffee, Baumwolle, weiße Bohnen, Holz und Gold. Im Tiefland wird auch intensiv Viehzucht betrieben. Es werden hauptsächlich Rinder gehalten. Einen zentralen Platz in der Oromo-Kultur nimmt Kaffee ein, eine Pflanze, die schon lange von den Oromo angebaut und genutzt wird. „Kottaa buna dhugaa! – Kommt Kaffee trinken!“ Nachbarn treffen sich jeden Morgen zum gemeinsamen Kaffeetrinken. Dies ist nicht nur Ausdruck der Zusammengehörigkeit, sondern dient auch dem Austausch von Neuigkeiten und Informationen. So wissen alle wie es den anderen geht und gegenseitige Unterstützung kann entsprechend angeboten werden. Um den Kaffee zuzubereiten, werden die Bohnen zunächst über offenem Feuer geröstet. Danach werden sie im Mörser zerstoßen und mit Wasser und Kardamom aufgekocht. Traditionell wird der Kaffee mit Salz getrunken. Eine besondere „Duftnote“ erhält das Kaffeetrinken durch Weihrauch und andere Harze, die bei der Kaffee-Zeremonie angezündet werden. Meistens werden zum Kaffee Getreidekörner und Nüsse zum Knabbern gereicht. Früher wurden vor allem bei Festen und rituellen Anlässen die Kaffeebohnen mit Butter und Gewürz (zum Beispiel Ingwer) geschmort, vermengt und gegessen. Dieses so genannte „buna qalaa“ diente zum Wachhalten und als Reiseproviant, um die Strapazen besser durchzustehen. Nach dem Kaffee verabschiedet man sich mit dem Gruß „Bunaafi nagaa hindhabinaa! – Ihr sollt nicht ohne Kaffee und Frieden sein!“
Eine weitere Besonderheit der Oromo ist ihre Zeiteinteilung und ihr Umgang damit. Es gibt in der Oromo-Gesellschaft sogar Spezialisten bzw. „Minister“ für Zeit, die aus dem Gedächtnis heraus die Tage, Monate und Jahre einer Gadaa-Periode benennen und berechnen. Der Kalender der Oromo basiert auf einem Mondjahr. Die Zeiteinteilung und Bezeichnung eines Tages ergibt sich aus Beobachtungen und Naturerfahrungen. 19 verschiedene Tageszeiten werden unterschieden.
Die Oromo glauben traditionell an den allmächtigen, allgegenwärtigen Schöpfergott Waaqayyo. Er wird „der Schwarze“ genannt. Er segnet die Erde und ist den Oromo besonders in der Natur nahe. Der Geist Waaqayyos heißt Ayyaana. Er stellt die Verbindung zum Menschen her und bestimmt die soziale und ökologische Ordnung. Diese Ordnung selbst heißt Safuu. Es handelt sich dabei um eine respektvolle und verantwortliche Haltung zum Leben. Safuu setzt Grenzen und trifft Unterscheidungen. Die traditionelle Religion einerseits und Islam und Christentum andererseits haben sich gegenseitig beeinflusst. Etwa die Hälfte der Oromo sind heute Muslime. Die bedeutendste evangelische Kirche ist die „Äthiopische Evangelische Kirche Mekane Yesus“. In ihr wird auch Afaan Oromoo gesprochen und soziale Arbeit geleistet.
Es gibt auch eine weibliche religiöse Macht namens Ateetee. Sie segnet und schützt Frauen. Beim Ateetee-Fest wird eine weibliche, rote Ziege geopfert. Die Frauen bitten um das Gedeihen von Familie, Hausstand und Tieren. Das Fest beginnt abends am Mittwoch, dem traditionellen Ruhetag der Oromo. Jede Frau hat ihre eigene Ateetee-Kuh. Nach dem Ateetee-Festmahl ziehen die Frauen ihr Festkleid an und werden von einer weisen alten Frau gesalbt. Dabei werden Ateetee-Lieder gesungen. Das Fest dauert die ganze Nacht. Zur Hochzeit erhalten alle Frauen die Siiqqee, einen Stock als Symbol für die Verteidigung ihrer Rechte und ihrer Ehre. Die Siiqqee wird mit Butter poliert und an einem besonderen Ort im Haus aufbewahrt. Zu religiösen Anlässen und bei den Gadaa-Versammlungen unter dem Odaa-Baum (die Sykomore) nehmen Frauen ihre Siiqqee und halten sie in der Hand, wenn sie sich Gehör verschaffen wollen. Das komplizierte Gadaa-System mit seinem Rotationsprinzip in Bezug auf Ämter kann als ein Vorläufer unserer modernen Demokratie gesehen werden. Es bildet die gesellschaftliche Ordnung der Oromo. Der Einblick in diese interessante, vielseitige und vielschichtige Gesellschaft hat mich beeindruckt und fasziniert.
Katja Fischer