Predigt von D. Philip Potter

Predigt

von D. Philip Potter, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Genf über Epheser 2, 11-22 – gehalten anlässlich des Einweihungs-Gottesdienstes des Ökumenischen Zentrums Christuskirche am 26. Februar 1978

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Ich betrachte es als ein großes Vorrecht, daß ich heute an dieser Einweihung der Christuskirche als ein Ökumenisches Zentrum teilnehmen kann. Dies ist ein bedeutsames Ereignis im Leben der Kirche in Frankfurt und in Deutschland und kann wohl ein Beispiel genannt werden für Andere.

Ich bringe Ihnen herzliche Grüße und Glückwünsche von den Kirchen in aller Welt. Die Gemeinden, die hier repräsentiert sind – also die deutsche evangelische Gemeinde, die koreanische evangelische Gemeinde, die serbisch-orthodoxe Gemeinde – sie alle gehören zu den Kirchen, die Mitgliedskirchen im ÖRK sind. Deshalb ist es nur angemessen, daß ich heute hier bin und bei diesem Ereignis alle diese Kirchen vertrete. Dies haben wir ein Ökumenisches Zentrum genannt. Eigentlich müßte man sagen; die Kirche als Kirche sollte in ihrem Charakter, in ihrem Wesen immer als Kirche ein Ökumenisches Zentrum sein. Das Wort Kirche selbst kommt vom griechischen „Kyriiikon“ – das bedeutet: dem Herrn zugehörig.

Und in der griechischen Version des Psalm, 24, Vers 1 wird uns verkündigt: „die Erde ist des Herrn und was darinnen ist”. Das Wort für Erde, das da gebraucht wird in der griechischen Version, ist das Wort „Oikumene“: „der bewohnte Erdkreis“. Die Kirche ist die Gemeinschaft. Sie repräsentiert die Menschen, die zur Welt gehören. Die Welt wiederum gehört dem Herrn. In der Frühzeit der Kirche war die Kirche eben dieses Ökumenische Zentrum für alle. In der Frühzeit der Kirche hatten die Gemeinden das, was wir in unserer Sprache noch kennen im Wort Hospiz: sie gaben den Fremdlingen, die durchkamen, die Möglichkeit, sich zuhause zu fühlen. Wie im Wort Hospiz steckt dieselbe Wurzel im Wort Hospital. Sie sorgten auch für die Möglichkeit, daß kranke Menschen geheilt wurden. Und alle diese Worte haben als Hintergrund dies: daß Fremde sich zuhause fühlen sollen. In der Kirche fangen wir heute gerade an, wiederzuentdecken, daß wir als Kirche eine Heimat sein sollten, die Menschen einlädt, wie Christus alle Menschen zu sich einlud.

Aber unser Text erinnert uns an ein anderes Phänomen von heute: Wir leben in einer Welt der Fremden. Das ist merkwürdig, denn unsre Welt heute ist ja mehr als je zuvor eine Welt geworden. Man kann sagen, wir leben heute in einer großen globalen Stadt oder in einem globalen Dorf. Die Kommunikationsmittel haben uns eng zusammengebracht. Die Leute reisen in der ganzen Welt herum. Das ist nichts Neues. Was aber neu ist, daß ist das Ausmaß, das diese Bewegung von Menschen angenommen hat. Und was außerdem neu ist für Sie hier in Deutschland und in Europa ist die Tatsache, daß nun unter Ihnen Menschen aus anderen Kulturen, aus anderen Rassen gegenwärtig leben. Es war für Sie als Europäer natürlich, nach Asien, Afrika und Lateinamerika oder sonst wohin zu reisen. Aber Sie finden es vielleicht nicht ganz so natürlich, daß nun die Asiaten, die Afrikaner und die Lateinamerikaner hierher zu Ihnen kommen. Und deshalb ruft die Gegenwart von Fremden unter uns Angst und Unsicherheit hervor. In den alten Sprachen (wie am Wort „Hospiz“) merkt man, daß die Wörter, die den Fremdling und den Feind bezeichnen, rein sprachlich sehr eng zusammenhängen. So leben wir heute in einer Welt, wo man zusammenkommt, näher zusammenrückt und doch Angst voreinander hat, einander mißtraut, deshalb Restriktionen und Grenzen gegeneinander aufbaut, einander ausschließt.

Das ist der Hintergrund, der Kontext, in dem wir den biblischen Text, den Predigttext für heute sehen müssen. Dieser Brief an die Epheser ist sozusagen ein Hirtenbrief an die Gemeinden in Kleinasien, zu denen die Gemeinde in Ephesus gehörte. Am Anfang wird herausgestellt, daß es der Plan Gottes ist, die Ökonomie Gottes, die Absicht Gottes, alle Dinge zusammenzufassen unter Christus (Kap.1). Aber unser Text erinnert uns zugleich an die Teilung unserer Welt. Diese Teilung ist hier im Text symbolisiert durch die Teilung zwischen Juden und Griechen. Die, die innerhalb des Bundes mit Gott waren, und die, die außerhalb waren. Die, die zum Haushalt, zur Familie Gottes gehören, und die, die nicht dazu gehören. Zu der Zeit gab es an dem Tempel in Jerusalem auf den Säulen eine Inschrift in Lateinisch und in Griechisch. Und diese Inschrift besagte, daß jeder Fremde, der die Grenze, die diese Säulen markierte, überschritt – jeder Fremde, der in das Heilige des Tempels eindrang – auf eigene Gefahr das tat und damit sein Leben riskierte. So war der Tempel Gottes, der Platz, der Ort seiner Gegenwart, ein Ort der Trennung und des Todes!

In der Situation dieser Trennmauer der Feindschaft kam Jesus, um diese Mauer einzureißen und die zu vereinen, die getrennt waren. Er ist es, der die, die fern waren, zu denen brachte, die nahe waren. So sind wir nun nicht länger Fremdlinge und Pilger, sondern Hausgenossen der Heiligen, Mitglieder des Haushaltes Gottes. Wie hat er das getan? Wir müssen uns hier an die ganze Geschichte des Volkes Israel erinnern. Sie waren Fremdlinge in Ägypten. Es war Gott, der sie aus der Sklaverei befreite und einen Bund mit ihnen schloß. Und immer wieder erinnerte er Israel daran, daß sie Fremde aufnehmen, annehmen sollten, weil „ihr selbst Sklaven waret in Ägypten“.

Und doch war die ganze Geschichte wiederum auch eine Geschichte des Ausschließens anderer. Auch das Kommen Jesu selbst zeigt ja, daß er nun selbst ausgeschlossen wird. Es war kein Raum in der Herberge für Maria und Josef. Herodes hatte Angst vor dem Fremden. Und so wurde das Kind Jesu ein Flüchtling in Ägypten. Als er seinen Dienst begann in Nazareth, seiner Heimatstadt, predigte er über das Wort des Propheten, daß Gottes Geist nun offenbart sei, um die Gefangenen zu befreien, die Armen zu trösten und die Lahmen zu heilen. Und als er versuchte, die Menschen in Nazareth an dieses Wort Gottes zu erinnern, da machten sie ihn zum Fremden in seiner eigenen Heimatstadt. Sie versuchten sogar, ihn von einem Felsen hinunterzustürzen.

Jesu ganzer Dienst galt denen, die Fremdlinge in der menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft waren: die Armen, die Kranken, die von Dämonen Besessenen, die Zöllner, die Prostituierten – und dafür wurde er von seinen Leuten, von seinem Volk zu einem Fremdling gemacht; wurde er gekreuzigt draußen vor der Stadt, wie der Hebräerbrief sagt. So ist das Kreuz zum Zeichen geworden für die Entfremdung unserer Menschlichkeit, aber zugleich das Zeichen für die Überwindung dieser Entfremdung.

Was sind nun die Konsequenzen von dem, was Christus für uns am Kreuz getan hat. Unser Text sagt uns, daß wir in Christus nicht länger getrennt sind, sondern daß wir eine neue Menschheit werden. Das ist die große Botschaft des Evangeliums! Und das ist die große Aufgabe der ökumenischen Bewegung. Das bedeutet, daß die eisernen Vorhänge und die Bambusvorhänge in unserer Welt niedergerissen sind durch Christus, daß es in Christus nicht mehr genügt, Koexistenz zu üben, sondern, daß wir in ihm in Proexistenz (in Existenz füreinander) leben.

Es bedeutet z.B., daß es in Christus keine Apartheid geben kann. Ich erinnere mich sehr lebhaft an eine Geschichte: Vor 31 Jahren trafen sich 1300 junge: Menschen für eine christliche Jugendkonferenz in Oslo. Ich arbeitete in einer Gruppe mit, die sich mit der „Kirche am Ort“ beschäftigte. Was bedeutet es, daß Christus der Herr ist in der Ortsgemeinde? Ein junger weißer Südafrikaner sagte damals: „Ihr wißt ja, wir können nicht Freunde sein mit den Schwarzen. Wir sind nicht wie sie, und sie sind nicht wie wir. Und können auch keine Gottesdienste zusammen halten.“ Die Gruppenleiterin war eine junge Tschechin, die sagte: „Ich verstehe dich nicht, denn Freundschaft ist das, was die Menschen selbst machen können. Aber Gemeinschaft, das ist doch etwas, was Gott schenkt.“ Wer war diese junge Frau aus der Tschechoslowakei? Sie hatte auf ihrem sehr schönen Gesicht eine Narbe. Ich fragte, woher die Narbe stamme. Sie erzählte mir, daß 1938 eine Gruppe junger Nazis nach Prag kamen, und versuchten, die jungen Frauen zu vergewaltigen. Sie hatte sich gewehrt, mit einem Soldaten gekämpft und er hatte sie mit seinem Bajonett verletzt im Gesicht. Bald danach, so erzählte sie weiter, kam ein junger deutscher Soldat zu der christlichen Jugendgruppe, der sie angehörte. Und die anderen jungen Leute in der Gruppe sagten: „Das geht nicht, wir können uns hier nicht mit einem deutschen Soldaten zusammensetzen.“ Und es war dann dieses junge Mädchen, die ihren Freunden in der Gruppe sagte: „Wir sind eine christliche Gemeinschaft, deshalb müssen wir alle Fremden annehmen.“ Und vor dem Hintergrund dieser persönlichen Geschichte versteht man, daß diese junge Frau damals bei unserer Konferenz in Oslo, die innere Vollmacht hatte, uns und besonders diesem jungen Südafrikaner das zu sagen, was sie sagte. Gemeinschaft ist etwas, was Gott schafft.

Es gibt noch einen anderen Aspekt dieser neuen Menschlichkeit, die Christus uns schenkt. Er befähigt uns, gegen all das zu kämpfen, was Menschen in ihrem eigenen Land oft zu Fremden macht. In Lateinamerika gibt es heute Christen, die gegen Ungerechtigkeit unter Militärdiktaturen kämpfen, die gegen die Vernichtung der indianischen Völker kämpfen. Und sie zahlen dafür mit ihrem Blut, so wie Christus mit seinem Blut bezahlte, damit wir nicht mehr Fremde sein sollten. Diese Menschen, Christen, Pfarrer, Priester werden ins Gefängnis geworfen, gefoltert, oft getötet.

In Korea kämpfen Christen für und im Namen der Menschenrechte, für die, die in ihrem eigenen Lande Fremdlinge werden, die ausgebeutet werden, die unterdrückt werden. Viele dieser Christen sind ins Gefängnis geworfen worden. Das erinnert uns wieder daran, wie damals Jesus behandelt wurde in seiner Vaterstadt Nazareth. Weil er seine eigenen Leute herausforderte, gerecht zu sein und selbst Werkzeuge der Befreiung zu werden für alle, die entfremdet waren. Und so ist die neue Menschlichkeit, die Christus uns bringt,-eine, für die eben dies gilt: Nicht mehr Fremde. Sondern wir leben gemeinsam, wir teilen gleichsam das Leben im Leib Christi. So daß die Kirche nun wirklich der Leib Christi werden sollte in dem, an dem wir alle Glieder sind. Aber wir wissen ja, das ist nun mal oft nicht so.

Ich war gerade diese Woche in Jamaica. Es lebten dort eine große Menge Leute im Westend von der Stadt Kingston, die keineswegs mehr das Gefühl haben, dort zuhause zu sein, zu ihrem Volk zu gehören. Sie sind Fremde in ihrem eigenen Land, weil die, die besitzen, die etwas haben, sie beiseite gestoßen haben, sie übersehen. Vor 34 Jahren, als ich ein Theologiestudent war, pflegte ich, zu diesen Leuten oft hinzugehen, um mit ihnen zu arbeiten, und bei ihnen zu leben. Ich erzählte ihnen von Jesus Christus und wie er sie bestätigen, sie annehmen würde. Und einige von ihnen nahmen das Evangelium von Jesus Christus an. Aber sie wollten nicht Mitglieder der Kirche werden, weil sie sagten, wir stinken, wir riechen nicht gut und deshalb werden wir nicht angenommen in der Kirche. Das war eine sehr radikale Art, wie sie sich ausdrückten, aber damit den Finger auf das Problem unserer Kirche legten. Wenn die Menschen nicht wie wir sind, wenn sie sich nicht anziehen wie wir, wenn sie sich nicht benehmen wie wir, dann sind sie nicht annehmbar. Aber wieder, daß ist genau das, was Jesus geschah.

So sind wir froh, daß eine Kirche, wie diese hier, nun wirklich ein Ökumenisches Zentrum wird: ein Ort, wo das Wort vom Ewigen Leben verkündet wird, wo Gottesdienst gefeiert und miteinander gelebt wird, ein Ort, wo Christus im Mittelpunkt steht, wo das Kreuz uns alle zusammenbindet; ein Ort, der für alle offen steht und der alle einschließt Frankfurt ist ein großes Zentrum in der Bundesrepublik. Es ist eine Stadt, die in aller Welt bekannt ist als ein Handelsplatz, als ein Bankenzentrum. Frankfurt hat einen der größten Flughäfen der Welt. Deshalb sollte die Kirche in Frankfurt der Ort sein, wo alle, alle willkommen geheißen werden im Namen Jesus Christus. So sollte sie ein Beispiel geben in der Stadt Frankfurt, daß sie, die Kirche wirklich diesem Herrn gehört. Und eben deshalb allen gehört. Und daß wir dann alle der Ort werden, wo Gott gegenwärtig ist. Möge Gott sie segnen!

Aus dem Gemeindebrief der Christus-Immanuel-Gemeinde vom April 1978

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